Offener Brief der IGS Mainspitze an die Hessische Kultusministerin
Frau Wolff zur "Unterrichtsgarantie plus", Ginsheim, den 23. 5. 2006



Sehr geehrte Frau Wolff,
wir, das Kollegium der Integrierten Gesamtschule Mainspitze im Kreis Groß-Gerau, wenden uns heute in großer Sorge an Sie wegen Ihres "Unterrichtsgarantie plus"-Programms, das ja seit Wochen die schulpolitische Diskussion im Lande bestimmt. Dieses Programm scheint uns nicht nur wenig geeignet, das Projekt "verlässliche Schule" umzusetzen, es scheint uns geradezu das zu konterkarieren, was verlässliche Schule, so wie wir Lehrerinnen und Lehrer der IGS Mainspitze sie verstehen, ausmacht.

Die Integrierte Gesamtschule Mainspitze ist eine Schule mit 3-tägigem Ganztagsangebot seit 1986. Im Jahre 2005 haben wir uns vergeblich darum beworben, eine Ganztagsschule mit 5-Tages-Betrieb zu werden; der Antrag wurde vom Kultusministerium gemeinsam mit dem Schulträger abgelehnt, und zwar nicht aus inhaltlichen, sondern aus rein finanziellen Gründen.
Seit drei Jahren arbeitet die Schule erfolgreich im Pilotprojekt des Kreises Groß-Gerau "Schule gemeinsam verbessern" mit und wurde letztes Jahr zum Fortbildungsprojekt "Qualitätsmanagement" desselben Kreises zugelassen.

Der Bildungsanspruch der IGS Mainspitze ist ein ganzheitlicher. Er setzt auf die bestmögliche Förderung eines jeden Schülers durch ein differenziertes Unterrichtsangebot und individuelle Betreuung, auf die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen und Sozialkompetenzen.

Um dies umzusetzen, hat die Schule seit Jahren ihr Betreuungsprogramm über den Pflichtunterricht hinaus mit geeigneten Differenzierungformen, mit Hausaufgabenhilfe und Förderkursen ausgebaut, arbeitet erfolgreich im Ganztagsbereich mit Sozialarbeitern, Vereinen, Jugendpflege und Musikschule zusammen. Dabei gilt der Grundsatz "Jedes Kind zählt und verdient Unterstützung" sowie das Ziel, dass sich die Schüler in dieser Schule gut versorgt finden und diese Schule alles tut, damit sie erfolgreich lernen können. Diese Ziele kennen Sie, Frau Wolff, sehr gut aus den Berichten, die die zahlreichen Besuche der Vertreter Ihres Fachbereichs aus Finnland, dem PISA- Spitzenland, mitgebracht haben. Unser Ziel ist es auch, erfolgreich in unserer Bildungsarbeit zu sein und noch erfolgreicher zu werden; und dabei kein Kind zu vernachlässigen oder gar aufzugeben oder auszusortieren.

Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung! Bildung, und zwar Bildung für alle unsere Kinder und Jugendlichen gibt es nicht umsonst, auch nicht für wenig und jetzt noch weniger Geld, sondern diese Bildung kostet etwas. Sie sollte uns so viel wert sein wie sie es z.B. Finnland wert ist.

Bisher hatten wir die Möglichkeit über das Projekt "Schule gemeinsam verbessern" einen BAT-Vertrag zu finanzieren, mit dem wir eine qualifizierte Lehrkraft zur teilweisen Abdeckung von Vertretungsunterricht und Betreuungsangeboten einstellen konnten. Diese Lehrkraft war eingegliedert in unser Kollegium und trug die Prinzipien unserer Schul- und Lernkultur mit; an Konferenzen und den pädagogischen Tagen teilzunehmen, war für diese Lehrkraft selbstverständlich, obwohl sie dafür nicht bezahlt wurde. Wir konnten im Rahmen von "Schule gemeinsam verbessern" auch im begrenzten Umfang pädagogisch qualifizierte Honorarkräfte im Betreuungsbereich (z.B. Mittags- und Hausaufgabenbetreuung) einsetzen, die durch geregelte Arbeitszeiten in das Kollegium eingebettet waren. Auf diese Weise war auch ein ständiger Austausch zwischen Lehrern und Honorarkräften gewährleistet und den Schülerinnen und Schüler waren diese Personen vertraut. Das war eine wirkliche Verbesserung unserer Arbeitssituation, das hat auch merklich Unterrichtsausfall begrenzt. Dabei sind wir nie von dem Grundsatz abgewichen, dass Unterricht, auch Vertretungsunterricht, von den dazu qualifizierten Lehrerinnen und Lehrern zu halten ist. Diesen Qualitätsstandard wollen wir erhalten und das sollte auch in Ihrem Interesse sein. Schließlich haben wir dafür ein Hochschulstudium und ein Referendariat absolviert mit zwei Staatsexamen.

Sie wollen Schulen mehr Eigenverantwortlichkeit geben, um ihr Schulprofil zu schärfen um die Schullandschaft für Eltern und Schüler transparenter und vielfältiger zu machen, um sie verantwortlich für ihre Leistungen zu machen. Diese Aufgabe nehmen wir an! Wir nehmen nicht an, den staatlich verordneten Mangel zu verwalten und damit die positiven Ansätze unserer pädagogischen Arbeit zunichte zu machen. Unterrichtsgarantie plus, wie Sie sie wollen, ist vielleicht finanziell begründbar, pädagogisch ist sie unseres Erachtens nicht zu verantworten. Verbessern Sie die Stellensituation so, dass eine Vertretung zu pädagogisch qualifizierten und arbeitsrechtlich soliden Bedingungen gewährleistet ist.

Stellen Sie sich hinter Ihre engagierte Lehrerschaft und unterstützen Sie diese in ihrem Bemühen, die Schulen in einer veränderten Bildungslandschaft neu und erfolgversprechend aufzustellen. Konterkarieren Sie nicht diese Bemühungen, indem Sie der Öffentlichkeit suggerieren, es ginge auch billiger. Bildung hat ihren Preis und der sollte uns diese Bildung wert sein.

Mit freundlichen Grüßen

die Personalversammlung der IGS Mainspitze

i. A. die Personalratsvorsitzende

B. von Stern